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Stand: 19.09.2019

Pressemitteilung

Armut

Vier Wände zum Glück

046_Armutswochen_Jasmin Künnen_GertrudenhausSozialarbeiterin Jasmin Künnen im Gespräch mit Ana S.Foto: Carolin Kronenburg / Caritas im Bistum Münster

Die eigene Wohnung ist nicht nur gemütlich, sondern bietet Sicherheit und Geborgenheit. Nichts wünscht sich Ana S. (Name von der Redaktion geändert) nach der Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann mehr als das. Doch der Traum von einem eigenen kleinen Refugium in Münsters Innenstadt ist für die 60-Jährige unerreichbar. 

Der Liebe wegen ist Ana S. 2014 aus dem brasilianischen Salvador da Bahia nach Münster gekommen. Doch statt des erhofften Glücks stand Gewalt auf der Tagesordnung - psychische und zuletzt auch physische. "Nach der Hochzeit im Jahr 2018 hat sich die Situation mit meinem Mann sehr verschlechtert", erinnert sich die Afrobrasilianerin. Beleidigungen und Beschimpfungen, Kontrolle und Fremdbestimmung wurden zum Alltag. 

Ihr Mann öffnete die Post und sagte ihr nichts von der Einladung zum Integrationskurs. Er versuchte alles, damit sie kein Deutsch lernt und keinen Anschluss findet. Mit Erfolg - bis heute spricht Ana S. nur gebrochen Deutsch. Und gebrochen ist auch ihr Selbstwertgefühl. Freunde hat sie trotzdem gefunden in der brasilianischen Gemeinschaft in Münster und der portugiesisch-sprachigen katholischen Gemeinde. 

Nach einem Gewaltausbruch hat sich Ana S. im März von ihrem Mann getrennt. Zuerst nahm sie ein Schutzhaus auf, dann wohnte sie jeweils für kurze Zeit bei Freundinnen. Zurzeit lebt sie in der Übernachtungsstelle des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). "Mein Wunsch ist einfach nur, glücklich zu sein", sagt sie, "doch es scheitert daran, eine Wohnung zu finden." Mit mangelnden Deutschkenntnissen und dunkler Haut habe sie in Münster keine Chance auf ein normales Leben. "Wo ich hingehe, wird gesagt, es gibt keine Wohnung", berichtet Ana S., "doch es gibt keine Wohnungen für Ausländer." 

Mit aller Kraft habe sie sich aus einer bedrückenden Beziehung befreit und jetzt missglückt eine gelingende Zukunft daran, ein eigenes Zuhause zu finden. Dabei wäre durch die Unterhaltszahlung eine Zwei-Zimmer-Wohnung absolut drin. "Ich fühle mich ausgeliefert", sagt sie und berichtet von Panikattacken. Nichtsdestotrotz versucht sie, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und einen Job zu finden - als Konditorin wie in Brasilien. "Ich liebe es, Torten zu kreieren", schwärmt sie. "Doch wer stellt eine 60-jährige Schwarze ohne Deutschkenntnisse ein?" 

Ana S. vergebliche Wohnungssuche sei kein Einzelschicksal, weiß Sozialarbeiterin Jasmin Künnen. Jede Frau in der Übernachtungsstelle habe ihre eigene Empfindung, warum es nicht klappt. Darüber stehe das politische Problem, dass es zu wenig sozialen Wohnraum gibt. Für die Frauen in der Übernachtungsstelle ist es laut Künnen "sehr schwer bis utopisch", eine Wohnung zu finden. "Die Vermieter in Münster können sich aussuchen, wen sie nehmen", sagt die 33-Jährige. Da werde sich natürlich für Zahlungskräftige, nicht für Obdachlose entschieden.

Die Zusammenarbeit mit der Stadt Münster sei sehr gut - aber das ändere nichts am mangelnden Wohnraum. "Das ist auch für die Stadt ein Problem", weiß die Mitarbeiterin des SkF. Deshalb würde sie sich wünschen, dass Vermieter eines Mehrparteienhauses zumindest eine Wohnung an Menschen aus sozial benachteiligten oder diskriminierten Gruppen vermieten müssen. 

Die Zahl der obdachlosen Frauen sei stark gestiegen. Als Künnen vor zehn Jahren angefangen hat, in der Einrichtung zu arbeiten, gab es sieben Schlafplätze, heute sind es 32. "Im letzten Jahr haben wir insgesamt 160 Frauen hier untergebracht - Tendenz steigend", sagt Künnen. Fehlender Wohnraum, steigende Preise, der Umgang mit psychisch erkrankten Menschen, das alles seien Brandbeschleuniger für Obdachlosigkeit. 

"Letztendlich brauchen wir nicht nur Vermieter, die soziale Verantwortung übernehmen", sagt Ludger Schulten, Referent für Wohnungslosenhilfe beim Diözesancaritasverband in Münster, "sondern Quoten für Menschen mit Erkrankungen und geringem Einkommen." Denn die eigene Wohnung verbessere nachweislich die Lebensqualität und damit auch die psychische Gesundheit. Ana S. kennt Schulten aus der portugiesisch-sprachigen Gemeinde. Sie habe - wie alle Frauen in der Übernachtungsstelle - die Chance auf ein gewaltfreies Leben verdient. Schulten: "Eine eigene Wohnung wäre der Grundstein zum Glück." 

Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.

046-2023 (ck) 16. Oktober 2023

 

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